Arbeitslosigkeit und Hartz IV: Worüber wir reden müssen

Eine Online-Petition der Internet-Plattform „change.org“ will über 150.000 Unterstützer gefunden haben, die Jens Spahn auffordern einen Monat lang mit den Mitteln, die einem Hartz IV-Empfänger zur Verfügung stehen, zu leben. Für Spahn wäre dies in seiner neuen Funktion als Bundesgesundheitsminister sicher keine Strafe und eigentlich könnte er diese Herausforderung annehmen; es würde ihm sicher als PR-Gag nicht schaden. 

Aber Spaß bei Seite: Die Aufforderung, den Alltag zum Hartz-IV-Grundregelsatz von 416,00 EUR im Monat zu bestreiten ist ja auch schon im Ansatz nicht ehrlich. Denn dies verschweigt, dass alleinstehende Empfänger von Arbeitslosengeld II außerdem ihre Miete, sowie Heizkosten und die Beiträge zur Sozialversicherung zusätzlich von der Gemeinschaft vollständig übernommen bekommen. Je nach Wohnort, denn die Mieten sehr unterschiedlich, bekommt eine alleinstehende Person, die Hartz IV bezieht, also Leistungen im Wert von geschätzt 850 bis 900 Euro. Zum Vergleich: Eine Person, die 40 Stunden pro Woche zum Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro pro Stunde arbeitet, verdient monatlich etwas über 1500 Euro brutto. Abzüglich aller anfallenden Steuern und Beiträge stehen da noch rund 1100 Euro netto zur Verfügung.

Niemand sollte bestreiten, dass mit dem ALG II nicht nur das Existenzminimum, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe berücksichtigt wird. Es müsse niemand hungern, auch wenn es die Tafeln in Deutschland nicht gäbe, so Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister hat eine wichtige Debatte zum Bezug von Sozialleistungen aus dem SGB II angestoßen. Reflexartig wird über die Höhe der Hartz IV-Sätze diskutiert.

Gegen die Empörung und die lauten Rufe der Linken nach einer sofortigen Erhöhung der Sätze Stand zu halten, fällt nicht gleich allen ein. Aber der KPV-Bundesvorsitzende, Christian Haase MdB, hat gegengehalten: „Die Beträge des Arbeitslosengelds II sichern das absolute Existenzminimum von Menschen in Deutschland, die dafür durch eine Arbeit nicht selber sorgen können. Insofern stimme ich Herrn Spahn zu, wenn er sagt, dass niemand hungern müsse in unserem Land, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Wir sollten uns außerdem in Erinnerung rufen, dass diese karitative Organisation keine Einrichtung des Sozialstaates ist, sondern ursprünglich mal gegründet wurde, um die oftmals herrschenden Lebensmittelverschwendung auf der einen Seite zu verringern und vorrangig obdachlos gewordene Menschen zu versorgen. Die vielen Ehrenamtlichen haben über die letzten Jahre eine bewundernswerte Arbeit geleistet, die durch die momentane Debatte auf keinen Fall in Vergessenheit geraten darf. Aber natürlich ist jeder Empfänger von Hartz IV einer zu viel und wir müssen täglich daran arbeiten, die Zahl der Menschen in diesem System zu reduzieren. Die alleinige Sicherstellung des Existenzminimums ist gleichzeitig Anreiz, sich aus der Arbeitslosigkeit heraus zu kämpfen und durch eine Stelle wieder für den gesamten Lebensunterhalt selbst aufkommen zu können. Wir müssen dabei auch diejenigen im Blick behalten, die voll erwerbstätig sind und trotzdem wenig verdienen.“

Das Sozialgesetzbuch schreibt das Lohnabstandsgebot vor. Dies besagt, dass eine Person, die ihren Unterhalt durch Arbeit bestreitet mehr Geld zur Verfügung haben sollte, als jemand der nicht in Arbeit ist. Die staatlichen Hilfen sind dafür bestimmt, die Zeit zu überbrücken bis man wieder eine Arbeit hat, die mit einem guten Einkommen verbunden ist. Gewisse Einschränkungen bei der Ausgestaltung des Lebensstils sind da natürlich ein Teil davon.

Es ist richtig, dass der Koalitionsvertrag und die neue Bundesregierung die Forderungen der KPV aufgreifen. Unter der Überschrift „Gute Arbeit“ heißt es:

Wir bekennen uns zum Ziel der Vollbeschäftigung. Dazu gehört auch, dass Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, wieder eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt eröffnet wird. Mit einem ganzheitlichen Ansatz wollen wir die Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt vorantreiben. Unser Ziel ist, bei der Betreuung der Langzeitarbeitslosen die ganze Familie in den Blick zu nehmen. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt erfolgt dabei sowohl auf dem ersten Arbeitsmarkt als auch auf dem sozialen Arbeitsmarkt z. B. durch Lohnkostenzuschüsse. Das schließt Arbeitgeber der freien Wirtschaft, gemeinnützige Einrichtungen und Kommunen ein.“

Die Beschäftigungssituation in Deutschland ist so gut wie nie. Aber über eine Million Langzeitarbeitslose können nicht vermittelt werden. Mit dem Zuzug von Geflüchteten hat die Anzahl der Betroffenen stark zugenommen. Wir lassen diese Menschen und ihre Familien nicht im Stich. Wir müssen aber mehr dafür tun, dass Kinder in Familien aufwachsen, in denen sie die Erwerbsarbeit der Eltern erleben. Sinnvolle Beschäftigung, geregelte Tagesabläufe und die Sorge für den eigenen Unterhalt sind wichtige Faktoren, um sich in der Gesellschaft dazugehörig zu fühlen und eine persönliche Perspektive zu entwickeln.

Die KPV fordert deshalb, dass der Bund und die Bundesagentur für Arbeit die Schaffung von neuen gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten vor Ort nachhaltig auch finanziell unterstützen. Kommunale Beschäftigungsgesellschaften müssen die zunächst arbeitsmarktfernen Leistungsempfänger auffangen. Wer Leistungsempfänger ist, kann andere hilfebedürftige Menschen unterstützen, sich bei der Pflege des öffentlichen Raums nützlich machen oder eine andere Aufgabe im Interesse der Gemeinschaft übernehmen. Ziel muss es sein, durch Stabilisierung und Qualifizierung eine Beschäftigung auf Mindestlohnniveau zu erreichen.

 

  • Die Autorenschaft für diesen Beitrag liegt bei der KPV-Bundesgeschäftsstelle und der KOPO-Redaktion.
  • Hintergründe und Zahlen finden Sie beispielsweise hier: http://bit.ly/2FTdE1F

 

Dieser Beitrag erscheint in der April-Ausgabe der KOPO-kommunalpolitische blätter. Interesse? Hier geht’s zum Abo http://kopo.de/abonnieren/

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