Soziales

Reform der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung war gut angedacht, entwickelte sich jedoch schlecht. Heimüberprüfungen brachten Erschreckendes zu Tage. Um diese Fehlentwicklung zu stoppen und wieder die anstrebten Prinzipien wie "Ambulant vor Stationär" und "Rehabilitation vor Pflege" umsetzen zu können, fordert die KPV auf ihrer Bundesvertreterversammlung 2001 eine gründliche Reform.

Die Bundesvertreterversammlung 2001 hat auf Antrag des Bundesfachausschusses „Jugend, Familie und Soziales“ der Bundes-KPV folgenden Beschluss gefasst:

„Die Entwicklung der Pflegeversicherung, die am 01.01.1995 mit großen Hoffnungen aus der Taufe gehoben worden ist, gibt nachhaltig zur Sorge Anlas.
Leider muss heute festgestellt werden, dass die Grundprinzipien wie “Ambulant vor Stationär” und “Rehabilitation vor Pflege” dieser sog. 5. Säule unseres sozialen Sicherungssystems kaum verwirklicht worden sind.

So gibt es z.B. viel zu wenig Rehabilitationsangebote für Senioren geschweige denn geriatrische Fachabteilungen. Gleichzeitig expandieren die Pflegeheimangebote auf Kosten der ambulanten Dienste.

Andererseits lässt die Qualität vieler stationärer Pflegeangebote sehr zu wünschen übrig, zumal die Überregulierung der Pflegeversicherung zu einem ausufernden Dokumentationswesen geführt hat, das letztlich zu Lasten der Pflege geht. Vielmehr kann im Rahmen einer sog. “Sekundenpflege” in vielen Fällen allenfalls noch die “Satt- und Sauber-Pflege” sichergestellt werden, wobei die persönliche Zuwendung für den Pflegebedürftigen vollkommen auf der Strecke bleibt.


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird daher aufgefordert, im Bundestag einen Gesetzentwurf einzubringen, der eine grundlegende Überarbeitung des Pflegeversicherungsgesetzes auf der Grundlage der nachfolgenden Kriterien sicherstellt:

  1. Die sog. “gefährliche Pflege”, die in vielen Heimen leider schon keine Ausnahme mehr ist, muss umgehend unterbunden werden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass allein in Berlin die Behörden seit 1998 wegen schwerer Missstände achtzehn Heime geschlossen haben. In Rheinland-Pfalz fand der medizinische Dienst der Pflegekassen in jedem fünften Heim so gravierende Mängel, dass er verlangte, sie zu schließen. In Niedersachsen entdeckten die Pflegekassen sogar in jedem dritten Heim schwere Mängel.
  2. Die Meldungen der vergangenen Monate erinnern in fataler Weise an die Zeit vor der Psychiatrie-Enquete im Jahre 1975. Von menschenunwürdigen Zuständen in namhaften psychiatrischen Anstalten wurde damals berichtet. Durch die parlamentarische Enquete kam dann eine grundlegende Reform in Gang: Viele Langzeitpatienten konnten in ambulante Versorgung übernommen werden.
  3. Ohnehin sollte dem Wunsch vieler pflegebedürftiger Senioren, möglichst lange in ihrem eigenen Zuhause zu bleiben, weitestgehend Rechnung getragen werden.
  4. Im übrigen werden sehr oft Senioren nach einem Krankenhausaufenthalt in einer akuten Notlage in eine stationäre Senioren-Einrichtung eingewiesen – ohne ausreichende Information und Beratung über andere Möglichkeiten der Pflege. Das ist künftig unter allen Umständen zu vermeiden.
  5. Die Unterbringung in Heimen führt darüber hinaus mit zunehmender Pflegebedürftigkeit zu extremen Abhängigkeitsverhältnissen, die kaum noch Raum für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten zulassen. Sie erzwingt vielmehr Anpassungen, durch die individuelle Rechte in Heimen potentiell in Gefahr sind. Die oft sehr strengen Hausordnungen dokumentieren nach Auffassung von Fachleuten die Einschränkung fast aller Grundrechte. Sie sind daher kaum geeignet, um den individuellen Bedürfnissen der Heimbewohner Rechnung zu tragen.
  6. Wegen der steigenden Lebenserwartung und der weiteren Verkürzung von Krankenhausaufenthalten ist davon auszugehen, dass die Zahl der Heimbewohner in Zukunft noch stärker zunimmt, wenn nicht alsbald grundlegend gegengesteuert wird. Hinzu kommt der wachsende Anteil der Einpersonenhaushalte, die im Pflegefall nicht auf die Hilfe eines Lebensgefährten zurückgreifen können.
  7. Gleichzeitig wird wegen der sinkenden Zahl Erwerbstätiger für immer mehr Hilfsbedürftige immer weniger Geld zur Verfügung stehen, so dass sich die Situation eher verschlimmern wird. Es zu befürchten, dass das bisherige Heimsystem bald nicht mehr zu bezahlen ist.
  8. Vor diesem Hintergrund muss das im neunzehnten Jahrhundert entstandene Anstalts- und Heimsystem generell überprüft werden. Es stellt sich einmal mehr die Frage, ob und in welchem Umfang Heime für Alte, Behinderte und psychisch Kranke überhaupt noch zeitgemäß sind.
  9. Es gilt vielmehr zu überlegen, ob man die Zahl der Pflegeheimplätze nicht erheblich reduzieren und durch wirksame ambulante Hilfen ersetzen sollte.
  10. Neue Ansätze, etwa in Form von kleinen Wohngemeinschaften, gibt es schon. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Schweden und den Niederlanden werden sie bei uns leider bisher nur zu selten verwirklicht. Die KPV verweist in diesem Zusammenhang auf das von ihr bereits im Jahre 1996 verabschiedete Konzept zum “Service-Wohnen”, das eine sinnvolle Alternative zur Heimunterbringung darstellt.
  11. Die Prinzipien “Ambulant vor stationär” und “Rehabilitation vor Pflege” können mangels geeigneter Alternativen in vielen Fällen nicht verwirklicht werden. Dabei hat die KPV bereits auf ihrem Bundeskongress 1999 nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einrichtung von geriatrischen Fachabteilungen mit angeschlossenen Reha-Einrichtungen dringend geboten ist.
  12. Daneben gehört die Zukunft gut vernetzten Hilfsdiensten, in denen sich ausgebildete Helfer und Laien um Pflegebedürftige kümmern, die zu Hause wohnen bleiben wollen.
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