Interview mit MdB Oster: „Da läuft gehörig was aus dem Ruder“

Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zur Zielscheibe von Gewaltandrohungen und Hass. Seine Frau wurde auf offener  Straße bespuckt, seine Kinder bekamen Polizeischutz für den Schulweg. Gewalt darf niemals Diskussion und Argumente ersetzen. Wir brauchen dringend Lösungen, wie wir wieder zu einer sachlicheren Debatte kommen. Ideen dazu hat Josef Oster MdB in der KOPO 2/2020 geäußert.

KOPO: Herr Oster, waren Sie in ihrer langen Zeit als Bürgermeister auch mit Bedrohungen, Hassmails und Verunglimpfungen konfrontiert?

Josef Oster MdB: Nein, allerdings habe ich gemerkt, dass sich im Laufe der Jahre die Art des Miteinanders verändert hat. Das beinahe uneingeschränkte Wir-Gefühl, das viele Jahre für Harmonie zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den Bürgermeistern und Verwaltungen gesorgt hat, hat spürbar nachgelassen. Was wir aber derzeit an Auswüchsen erleben, hat es zu meiner Zeit so noch nicht gegeben. Da läuft gehörig was aus dem Ruder.

KOPO: Ein Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen hat aus Angst vor Rechtsradikalen einen Waffenschein beantragt und damit eine große Diskussion ausgelöst. Was halten Sie davon?

Josef Oster MdB: Ich lehne das Tragen von Waffen als Selbstschutz für Bürgermeister ab. Das käme einer Art Aufrüsten gleich, das im Ergebnis die Gefahr von schweren Auseinandersetzungen sogar erhöhen würde. Die wirkungsvollste Waffe gegen körperlichen Angriffe auf Bürgermeister und Hass in den sozialen Medien sind die Verfolgung durch unsere Polizeien und die zeitnahe und konsequente juristische Bestrafung durch unsere Justiz. Unser Rechtsstaat muss klare Kante zeigen und sich und unsere demokratischen Werte verteidigen. Notwendig ist auch – damit bin ich wieder bei dem von mir am Anfang erwähnten Wir-Gefühl – eine breite gesellschaftliche und solidarische Empörung und Ächtung der Taten. Nur so können wir dieser gefährlichen Entwicklung Herr werden.

KOPO: Welche Rolle spielen die Sozialen Medien?

Josef Oster MdB: Eine große. In der Anonymität konnten Hass, Verunglimpfungen und Bedrohungen bis vor kurzen praktisch ohne ernsthafte Konsequenzen ausgelebt und verbreitet werden. Dort formierte sich auch die Bereitschaft zur offenen Gewalt. Da hat die Politik zu lange nichts gemacht, jetzt müssen wir dafür sorgen, dass damit bald Schluss ist. Ich trete dafür ein, dass auch bei Verunglimpfungen von Bürgermeistern Haftstrafen drohen. Auch über die Frage der grenzenlosen Anonymität im Internet müssen wir diskutieren.

KOPO: In ihrem Bundesland Rheinland-Pfalz sind Bürgermeister von Städten und Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern ehrenamtlich tätig. Fürchten Sie, dass vor dem Hintergrund der Übergriffe die Bereitschaft für politische Ehrenämter nachlässt?

Josef Oster MdB: Absolut! Ich kann gut nachvollziehen, dass Mütter und Väter aus Verantwortung für ihre Familien darauf verzichten, sich neben ihren Hauptberufen auch noch ehrenamtlich als Bürgermeister zu engagieren. Ich kritisiere auch die Landesregierung Rheinland-Pfalz, die in den vergangenen Jahren am Reißbrett Kommunalreformen durchgeführt hat, die teilweise an der Lebenswirklichkeit der Städte und Gemeinden vorbeigingen und es den Bürgermeistern nicht einfach gemacht haben. Wenn schon das Land wenig respektvoll mit der unteren Verwaltungsebene umgeht, muss man sich nicht wundern, dass auch in Teilen der Bevölkerung der Respekt verloren geht. Wobei ich hier Wert auf die Feststellung lege, dass es natürlich keinen Zusammenhang zwischen der Arbeit der Landesregierung und den militant-radikalen Auswüchsen in den sozialen Medien und in der Öffentlichkeit gibt.

KOPO: Was muss man Ihrer Meinung nach zusätzlich zur konsequenten polizeilichen und juristischen Verfolgung und einer gesellschaftlichen Ächtung tun, damit unsere Bürgermeister künftig wieder ohne Angst arbeiten können und anständig behandelt werden?

Josef Oster MdB: Wir brauchen Aufklärungskampagnen und Bildungsmaßnahmen, die deutlich machen, dass wir unsere Demokratie mehr denn je verteidigen müssen. Denn die Sozialen Medien und „die Straße“ werden zunehmend von Demokratiegegnern missbraucht, die unsere freiheitlich-demokratische Ordnung ablehnen. In den Schulen müssen die Pädagogen die Jugendlichen darauf vorbereiten, dass es in Sozialen Medien Kräfte gibt, die sie für ihre Absichten rekrutieren wollen.

KOPO: Lässt Sie die derzeit hohe Zahl von Übergriffen aller Art nicht befürchten, dass Bürgermeister noch längere Zeit Bedrohungen ausgesetzt sein werden?

Josef Oster MdB: Leider ja. Unsere Bürgermeister sind mit die wichtigsten Verbindungen zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern und eine Basis unserer Demokratie. Wir dürfen deshalb keine Zeit verlieren, konsequent die schlimmen Auswüchse auf allen Ebenen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Da sind Bund, Länder, Städte und Kommunen gefordert. Letztlich aber auch alle Menschen unseres Landes.

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