Auf Wiedervorlage: Gleichwertige Lebensverhältnisse
Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie attraktiv die ländlichen Räume sind in Deutschland – sie bieten Natur, Platz und Freiraum. Diese Stärke gilt es weiterzuentwickeln, auch um der Überhitzung der Städte entgegenzuwirken. Dazu braucht es massive Investitionen in Infrastruktur jeglicher Art.
Denn nur wer überall findet, was er zum Leben braucht, kann auch frei entscheiden, wo er leben möchte. Investitionsentscheidungen dürfen nicht nach Einwohnerzahl getroffen werden, sondern müssen immer auch die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen im Blick haben.
2018 hat die unionsgeführte Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einsetzung der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ beschlossen und so den Auftakt für eine zukunftsorientierte und aktivere Strukturpolitik gegeben. Die Ergebnisse aus der Arbeit der Kommission mündeten im Juli 2019 in einen „Plan für Deutschland – Gleichwertige Lebensverhältnisse überall“ sowie in einen Beschluss der Bundesregierung für zwölf prioritäre Maßnahmen für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.
Im Frühjahr 2021 hat die alte Bundesregierung mit dem Bericht „Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse“ eine Zwischenbilanz gezogen. Viele Maßnahmen seien bereits umgesetzt worden, die Wirkung entfalte sich in vielen Bereichen jedoch erst mittel- und langfristig. Nach wie vor gebe es große Unterschiede bei den Lebensverhältnissen in Deutschland. Die aktive Strukturpolitik des Bundes bleibe deshalb auch mit Blick auf die Auswirkungen der Pandemie prioritäres Thema.
Besonders schmerzlich treten die Defizite in der digitalen Infrastruktur zu Tage: Plötzlich sind aus betrieblichen oder familiären Gründen viel mehr Berufstätige auf das Homeoffice angewiesen, Schulen haben Online-Unterricht organisiert, Kommunen und Gremien ihre Sitzungen per Videokonferenz gemacht. Viele Aktivitäten haben sich ins Digitale verschoben, von der Sprechstunde beim Arzt bis hin zum Besuch der Großeltern, der per Videokonferenz/-chat stattfand. Mittels digitaler Anbindung können lange Wege verkürzt und damit Standortnachteile auf dem Land ausgeglichen werden – vorausgesetzt die Infrastruktur steht.
Strukturpolitik kostet Geld
Die dezentrale Struktur ist eigentlich eine besondere Stärke Deutschlands. Auch das zeigte sich gerade in der Corona-Krise, als beispielsweise mit individuellen und kreativen Lösungen vor Ort tausende Test- und Impfcenter entstanden. Deswegen war es in meinen Augen ein großer Fehler, die Kommunen nicht mit einzubeziehen, sondern stattdessen eine Regierungskommission einzusetzen. Was gute Lebensqualität für den einzelnen Menschen ausmacht, lässt sich nicht von oben in Regierungskommissionen am Reißbrett entwerfen. Deshalb werben wir für die flächendeckende Einrichtung von Heimatagenturen. Sie kennen die Gegebenheiten vor Ort und können so gezielt im ländlichen Raum nach Fachkräften werben. Richtig ist auch, dass wir die dezentrale Ansiedlung von Behörden und Forschungseinrichtungen weiter ausbauen müssen. Die Stiftung für Engagement und Ehrenamt in Neustrelitz ist ein guter Anfang. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse kostet Geld; hier hat der Finanzminister der letzten Bundesregierung gemauert. Aber nur mit einer auskömmlichen kommunalen Finanzausstattung können Kommunen in ihren bürgernahen Aufgaben- und Leistungsbereichen bedarfsgerecht und eigenverantwortlich agieren und sich zukunftsfest aufstellen. Nur wenn Kommunen finanziell dazu in der Lage sind, Infrastrukturen, Daseinsvorsorge und freiwillige Leistungen für ihre Bürgerinnen und Bürger zu erhalten beziehungsweise anzupassen, bleiben sie attraktiv.
Es ist verfassungsgemäße Aufgabe der Länder für eine auskömmliche Finanzausstattung ihrer Kommunen zu sorgen. Die Länder müssen dieser Aufgabe endlich nachkommen.
Statt Förderdschungel höherer Anteil am Umsatzsteueraufkommen
Im Rahmen der Bundesmöglichkeiten werbe ich für eine dauerhafte kontinuierliche Stärkung der kommunalen Investitionskraft an Stelle der Förderung von Kommunalinvestitionen in verschiedenen Programmen oder aus Sondervermögen. Es zeigt sich immer wieder, dass gerade finanzschwache Kommunen nicht in der Lage sind, die entsprechenden Förderanträge zu stellen. Zielführender ist es deshalb, den Kommunen künftig einen höheren Anteil am gesamtstaatlichen Umsatzsteueraufkommen zur Verfügung zu stellen, der eigenverantwortlich für erforderliche kommunale Investitionen und Investitionsunterhaltungsmaßnahmen zu verwenden ist.
Leider beinhaltet auch der Koalitionsvertrag der Ampelregierung hier keine Verbesserung. Auch die neue Bundesregierung setzt auf eine Vielzahl an Förderprogrammen, die sich für die Kommunen oftmals als schwer zugänglich und beschneidend im Gestaltungsspielraum vor Ort erweisen.
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ weiterentwickeln
Ein Förderprogramm, welches sich lohnen würde, weiterentwickelt zu werden, ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes― (GAK) Sie enthält eine breite Palette von Agrarstruktur- und Infrastrukturmaßnahmen und auch Fördermaßnahmen für die ländliche Entwicklung. Die GAK leistet einen wichtigen Beitrag zur strukturellen Stärkung der landwirtschaftlich geprägten Gebiete in unserem Land. Dieses Instrument gilt es weiterzuentwickeln durch einen erweiterten Art. 91a GG. Mit dieser Grundgesetzänderung ließen sich auch strukturelle Fördermaßnahmen umsetzen.
Gleichwertigkeits-Check muss zum Einsatz kommen
Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine langfristige Mammutaufgabe, für die ich mich als Bundesvorsitzender der KPV weiterhin stark machen werden. Es sind die unterschiedlichen Regionen, die Deutschlands Charme ausmachen. In meiner Funktion als Abgeordneter werde ich alle Gesetzesvorhaben einen Gleichwertigkeits-Check unterziehen. Dieses im Bericht der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse formulierte Instrument muss viel mehr zum Einsatz kommen.
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