Bundesverfassungsgericht kippt Betreuungsgeld

Dem Bundesgesetzgeber fehlt die Gesetzgebungskompetenz für das Betreuungsgeld. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Die §§ 4a bis 4d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, die einen Anspruch auf Betreuungsgeld begründen, sind daher nichtig. Sie können zwar der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zugeordnet werden, auf die sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes erstreckt. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Ausübung dieser Kompetenz durch den Bund liegen jedoch nicht vor. Das Urteil ist einstimmig ergangen.

Sachverhalt: Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ist der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Er wendet sich gegen die mit dem Betreuungsgeldgesetz vom 15. Februar 2013 eingefügten §§ 4a bis 4d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes. Diese Regelungen sehen im Wesentlichen vor, dass Eltern in der Zeit vom 15. Lebensmonat bis zum 36. Lebensmonat ihres Kindes einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von zunächst 100 € und mittlerweile 150 € pro Monat beziehen können, sofern für das Kind weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden.

Wesentliche Erwägungen des Senats: Die Regelungen zum Betreuungsgeld sind dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zuzuordnen. Ein anderer Kompetenztitel kommt nicht in Betracht. Der Begriff „öffentliche Fürsorge“ ist nicht eng auszulegen. Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potentieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt. Dies ist beim Betreuungsgeld der Fall. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG sind jedoch nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift hat der Bund – u. a. im Bereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG – das Gesetzgebungsrecht nur, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes.

Der Deutsche Städtetag plädiert nachdrücklich dafür, die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel – im Jahr 2015- immerhin 900 Millionen Euro – im System der Kindertagesbetreuung zu belassen. „Der Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren ist zum Beispiel noch nicht in allen Kommunen abgeschlossen, in großen Städten steigt die Nachfrage nach Betreuung teilweise sogar. Auch die qualitativen Anforderungen an die Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder sind gestiegen, daher wird ein umfassendes und langfristiges Engagement von Bund und Ländern benötigt. Die Städte haben in den vergangenen Jahren alles in ihrer Macht stehende getan, um Kindertagesstätten und Tagespflege bedarfsgerecht auszubauen. Die Zahl der Kinder unter drei Jahren in öffentlich geförderter Kindertagesbetreuung hat sich von knapp 300.000 im Jahr 2006 auf knapp 695.000 zum Stichtag 1. März 2015 erhöht,“ so Dr. Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, in einer ersten Stellungnahme.

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